Buß- und Bettag 2019
Der respektvolle interreligiöse Austausch und Toleranz sind uns sehr wichtig am Seminar Maulbronn. Dieses Jahr ging es am Buß- und Bettag nach Pforzheim in den Hindutempel oder wahlweise in das „Queer Space“. Eine Seminaristin aus Klasse 10 lässt uns an ihrer ganz persönlichen Erfahrung teilhaben:
– „10.00 Uhr“
– „Alle da?“
– „Glaube schon.“
– „Wer fehlt?“
– „Da kommen ja die letzten.“
Schon geht es los nach Pforzheim in den Hindutempel und zum „Queer Space“. Hinduismus, eine Religion, die uns allen sehr fremd ist und sich unglaublich weit weg anfühlt. Doch jetzt dürfen wir ganz nah ran und unsere Fragen direkt stellen oder in das „Queer Space“. In Pforzheim teilen wir uns deshalb in zwei Gruppen auf. Die Tatsache, dass man den Hindutempel als menstruierende Frau nicht betreten darf, hat viele von uns abgeschreckt. Manche wollen also aus Prinzip nicht hin, andere respektieren die Wünsche der uns fremden Kultur, wieder andere sind einfach mehr am „Queer Space“ interessiert.
Ich schließe mich der Gruppe an, die in den „Alayam Sivakavam Hindu Tempel“ geht. Nach einer kurzen Wanderung durch die Stadt, kommen wir in einem Hinterhof an. Unten im Gebäude müssen wir die Schuhe ausziehen. Während wir uns noch im Treppenhaus tummeln, ruft uns eine freundliche Stimme hinein. Wir stehen in einem großen, langen Raum ohne viel Mobiliar, erst im hinteren Teil des langen Raumes wird es bunt geschmückt und wir sehen das, was wir uns vorgestellt hatten. Seltsamerweise platzen wir mit unserem Besuch direkt in einen Gottesdienst. Aus dem vorderen Teil des Raumes hören wir unbekannte Gesänge, gleichzeitig stellen wir uns vor und nennen der jungen Frau unsere Namen.
Daraufhin dürfen wir uns den Gottesdienst anschauen und Fragen stellen, dabei scheint es das Paar und den Priester nicht zu stören, dass ihnen eine Gruppe Seminarist*innen interessiert zuschauen. Dort steht ein größerer Tempel in der Mitte, der Tempel der Muttergöttin, und kleinere an den Wänden, in jedem steht eine Götterfigur, die Avatare der Götter, denen der Bramane nach Gesängen in einer toten Sprache, zu vergleichen mit Latein, immer wieder Plastikblumen hinschmeißt. Alles ist bunt geschmückt. Ich entdecke Lametta aus dem Baumarkt und Bastelpappe aus dem Schreibwarengeschäft. Es ist verrückt zu sehen, wie dieser traditionelle Glaube auf etwas ganz Alltägliches trifft.
Nun gibt der Bramane der Frau, die als Einzige der deutschen Sprache mächtig ist und somit als Dolmetscherin fungiert, einen Kerzenhalter. Wir sollen mit den Händen den Rauch des Feuers zu uns führen, um den Segen zu erhalten, erklärt sie uns. Unbeholfen versuchen wir die Bewegung nach zu machen.
Nachdem der Bramane das Ehepaar mit weißer Asche versehen hat, kommt er auch zu uns und streicht uns allen mit zwei Fingern die weiße Asche auf die Stirn. Der Gottesdienst ist beendet und das Ehepaar redet unvoreingenommen mit uns, sie erzählen uns, dass sie hier sind, um ihren Hochzeitstag zu feiern. Nun bekommen wir gesüßte Milch auf die Hand, wir haben alle unsere Hände zu einer Schale gemacht, darin die Milch, doch keiner von uns weiß, wie er die jetzt in seinen Mund bekommen soll. Nach experimentellen Versuchen, die Milch in den Mund zu kriegen, bekommen wir gesüßten Reis angeboten. Auch auf die Hand. Während uns das Ehepaar davon vorschwärmt, bekommen es manche von uns kaum runter, doch die Erfahrung war es wert. Später erfahren wir, dass es sich dabei um die Opfergaben an die Götter handelte, denn vor jeder Statue steht ein kleines Gefäß mit dem Reis darin.
Jetzt dürfen wir auch in den Gottesdienstbereich und uns alles genau ansehen. Die Pappmaché-Tempel und die Plastikblumen sind mir immer noch suspekt. Wir kriegen zu jedem Avatar etwas erklärt, alles war schwer zu merken, doch die Vielfalt der Götter und den Geschichten über sie ist gigantisch.
Als letztes dürfen wir noch einmal alle unsere Fragen stellen. Als wir doch so mutig sind und nach dem Umgang mit Homosexuellen fragen, traut sich unsere Dolmetscherin nicht, dem Bramanen unsere Frage zu übersetzen. Die eine Gruppe wird im „Queer Space“ über Transsexualität und weiteres aufgeklärt, und wir sprechen mit Homosexualität ein Tabuthema an. Diese zwei Orte liegen grade einmal zehn Minuten zu Fuß auseinander.
Nach ein bisschen freier Zeit in Pforzheim fahren wir gemeinsam nach Mühlacker, um von da aus nach Maulbronn zu wandern. Wir steuern zwei Aussichtspunkte an und als es dunkel wird, bekommen wir alle Fackeln. Die Atmosphäre ist richtig schön, alle beieinander. Wir freuen uns dann aber auch auf das warme Essen, was im Kloster schon auf uns wartet.
Ann-Kathrin Deihle (Promo 18/22)